Chronik des Jüdischen Friedhofs Arolsen/Helsen
In dem früher zur Grafschaft, dann zum Fürstentum und schließlich zum ehemaligen Freistaat Waldeck gehörenden Bad Arolsen bestand eine jüdische Gemeinde bis nach 1933. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurück, als die Fürsten von Waldeck und Pyrmont in ihrer Residenzstadt Schutzjuden und sogenannte „Hofjuden“ (Hoffaktoren, Hoflieferanten) aufgenommen haben.
um 1725 Erstmals werden Juden in Arolsen genannt. Die Familie Stieglitz erhielt Zollfreiheit und war fortan als Hoffaktoren, Kammer- und Hofagenten für das Fürstenhaus tätig. Seit 1763 wohnten die beiden Familien mit ihren Gattinnen und insgesamt zehn Kindern mit Personal und Gesinde in dem Haus Schlossstraße 1.
1729 Einrichtung eines Friedhofs außerhalb der Bebauung, der gemeinsam von den Juden aus Arolsen, Helsen und Mengeringhausen genutzt wird. Die Familien leben hauptsächlich vom Handel (Getreide-, Vieh- Kolonialwaren-, Futtermittelhändler), aber auch als Handwerker (z.B. Lohgerber) oder Lehrer.
1738 erste Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof
1778 Neun jüdische Familien sind in der Stadt.
1795 zehn jüdische Familien
1831 Erweiterung des Friedhofs
1847 11 jüdische Familien
1880 69 jüdische Einwohner (2,8 % von insgesamt 2.477 Einwohnern)
1885 49 jüdische Einwohner
1900 38 jüdische Einwohner (1,4 % von 2.734)
1905 48 jüdische Einwohner
1910 45 jüdische Einwohner (1,6 % von 2.793); an Einrichtungen bestanden eine Synagoge, eine Schule und ein rituelles Bad.
1914-1918 Auch jüdische Soldaten nehmen am 1. Weltkrieg teil. Aus der jüdischen Gemeinde fällt Leo Stein (geb. 25.2.1889 in Kletzko, gefallen 8.1.1916).
1924 Zur Gemeinde gehören noch etwa 25 Personen, dazu gehören auch fünf jüdische Bewohner in Helsen.
Im Schuljahr 1931/32 gab es noch ein schulpflichtiges jüdisches Kind in der Gemeinde, das seinen Religionsunterricht durch Lehrer Moritz Goldwein aus Korbach erhielt.
1932 noch 26 jüdische Personen in der Stadt
1933 noch 15 jüdische Personen in der Stadt
seit 1933 Boykott jüdischer Geschäfte, Ausgrenzung, Diffarmierung und Gewalt nehmen zu (Zerstörung von Schaufensterschreiben, Transparente, Gewalt durch SS zum Beispiel 1934 gegen Meinhard Katz, der mit einer nichtjüdischen Frau auf den Viehmarkt ging usw.)
ab 1934 bis 1938 notgedrungene Geschäftsaufgaben aller jüdischen Geschäftsleute
1938 Pogrome in Arolsen Es leben noch fünf jüdische Personen in Arolsen: die 77-jährige Witwe Klara Schürmann (Fürstenallee 13), die 78-jährige Frieda Alsberg (Kaulbachstraße 12), die Geschwister Margarete, Frieda und Theodor Katz (Bahnhofstraße 29; 41, 39, bzw. 31 Jahre alt). Sie alle sind beim Novemberpogrom 1938 schutzlos den Angriffen der Arolser Nationalsozialisten und einer aufgeputschten Menschenmenge ausgesetzt. Die Manufakturwarenhandlung und die Wohnung der Geschwister Katz werden verwüstet und geplündert. Frieda Alsberg zieht 1939 nach Frankfurt (gest. 25.4.1940). Die Geschwister Katz können noch in die USA emigrieren. Klara Schürmann muss im Frühjahr 1939 ihr Haus verkaufen und wird in die Wohnung von Frieda Alsberg einquartiert, später wird sie im Bathildisheim (Neu-Berich, Haus Waldfrieden) untergebracht, von wo aus sie im März 1941 im Rahmen der T4-Aktion abgeholt und ermordet wird.
nach 1938 Zerstörungen auf dem jüdischen Friedhof durch Nationalsozialisten
1941 letzte Bestattung: Hermann Schönstädt
bis 1945 42 jüdische Bürger, gebürtig oder/und wohnhaft in Arolsen und Helsen werden im Holocaust ermordet oder in den Suizid getrieben
bis 1948 Nach drei Jahren werden nach Hinweisen und Bitten umgestürzte Grabsteine wieder aufgerichtet, Grabplatten an Steinen befestigt
1972 Nach mehrmaligem erfolglosen Schreiben an die Stadt bringt Theodor Katz bei einem Besuch in Arolsen die zerstörten Grabplatten seiner Familie selbst in Ordnung und kommt für die Kosten auf.
bis 1973 immer wieder Friedhofsschändung zum Beispiel durch Kühe, die auf dem Friedhof gesichtet werden oder Hundedressuren, die dort stattfinden
1974 Die Stadt übernimmt die Reparaturkosten für die restlichen zerstörten Grabplatten, aber bis heute sind nicht alle Platten restauriert.
1984 Im Frühjahr errichtet Walter Schönstädt, der als einziger Arolser Jude nach dem Zweiten Weltkrieg zurückkam, einen Gedenkstein zum Andenken an die in den Jahren 1933 bis 1945 umgekommenen Juden.
seit 1987 Jährlich findet am 8. November eine Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof statt unter Mitwirkung von Schülerinnen und Schülern der Arolser Schulen.
1988 Eine Grabplatte (Grab 81) verschwindet, es wird Anzeige wegen Störung der Totenruhe und Diebstahl erstattet.
Text von Julia Drinnenberg und Tina Römer, Zusammenfassung nach Erhard Kraft und Michael Winkelmann, März 2025.